06.08.2015 - Ein Zuhause auf Zeit
Am vergangenen Montag besuchten Uta Böker, Redakteurin des Kölner Stadtanzeigers/Bergische Landeszeitung sowie Fotograf Christoph Arlinghaus die Flüchtlingsunterkunft in Bergisch Gladbach-Sand. Entstanden ist ein sehr persönlicher Bericht über die Situation der Flüchtlinge in Bergisch Gladbach, den wir Ihnen an der Stelle gerne zur Verfügung stellen würden:
Ein Zuhause auf Zeit
Besuch bei 78 Flüchtlingen in der Sander Turnhalle
"Heinz-Klinger Sportzentrum" steht über der Tür der Turnhalle im Stadtteil Sand. Jetzt leben hier 78 Flüchtlinge jeden Alters aus 15 Nationen, mehr Männer als Frauen, 22 Kinder, auch zwei Babys. Wie lange sie hier bleiben und wann sie ihr Leben wieder selbst in die Hand nehmen können, wissen sie nicht.
Ghazwan hat sich ein schattiges Plätzchen auf einer Klappbank gesucht. "Die Leuten geben sich sehr viel Mühe, das merkt man", sagt er in fast fehlerfreiem Deutsch. "Wenn jemand Medikamente braucht, bekommt er sie." ER sei sehr dankbar für die Hilfe. Mit dem Mitbewohnern gebe es keine Probleme: "Wir sind hier alle Brüder." Obwohl die Unterschiede aufgrund der Herkunft groß seien, gebe es ein Miteinander. Es sind mehr Moslems als Christen, die in der Notunterkunft untergebracht sind. Für die jeweiligen Rituale, zum Beispiel das abendliche Füßewaschen der Moslems, sind die Voraussetzungen geschaffen worden. In seiner weitgehend zerstörten Heimatstadt Homs in Syrien hatte Ghazwan begonnen, Deutsch und Jura zu studieren: "Ich möchte meinen Master machen und Rechtsanwalt werden."
Doch jetzt sitzt der 25-Jährige erst einmal in einer kargen Turnhalle fest. Die Ausstattung ist spartanisch: Bett neben Bett in nach oben offenen rechteckigen Parzellen, vier Toiletten, sieben Duschen. Manche haben ihr durch Plastikplanen abgetrenntes Abteil durchaus mit Liebe zum Details gestaltet: Über einem Kinderbettchen sind Kuscheltiere aufgehängt. Es gibt Steckdosen. Diese sind besonders wichtig zum Auflagen der Handys. Die Telefone sind die einzige Möglichkeit, Kontakt zu den Familien zu halten. Im Aufenthaltsraum gibt es einen Fernseher. Ein paar Spielsachen. Mehr nicht.
Die Situation ist schwierig. Daraus macht Ingeborg Schmidt, Kreisvorsitzende des Deutschen Roten Kreuzes und Leiterin des Flüchtlingscamps, keinen Hehl. Das DRK hatte vor zwei Wochen von jetzt auf gleich die Organisation der Betreuung der Flüchtlinge übernommen. Die meisten Flüchtlinge sind traumatisiert, sprechen kein Wort Deutsch und zum Teil nicht mal Englisch.
Trotzdem funktioniert das Zusammenleben ziemlich vorbildlich. Und das ist dem engagierten Einsatz der vielen ehrenamtlichen Helfer vom DRK zu verdanken: "Wir versuchen den Leuten auf Augenhöhe zu begegnen", sagt Ingeborg Schmidt. Helfen kann "die Mum", wie die Bewohner sie anerkennend nenne, aber nur ganz bedingt.
Ein 24-jähriges kann kaum laufen. Er kam mit zwei gebrochenen Beinen an, deren Knochen falsch zusammen gewachsen sind. Ein anderer 22-jähriger Mann aus Ghana sitzt abends immer auf seinem Bett und weint. Er hat beide Eltern verloren. "Mehr als Mut zusprechen und Hoffnung machen, geht meistens nicht", sagt Ingeborg Schmidt. Sie versucht zu helfen, wie es geht. Mit Hilfe einer Spende konnte sie Medikamente kaufen. Denn als die Flüchtlinge eintrafen, war es kalt. Einige sind krank geworden, haben aufgrund der Enge andere angesteckt. Und jetzt die Hitze. Drinnen ist es fast so heiß wie draußen.
"Das Schlimmste ist die Langeweile", sagt Ghazwan. Er beschäftigt sich damit, deutsche Vokabeln zu lernen und übt mit anderen Flüchtlingen das Alphabet. Listen sind verteilt worden, mit wichtigen deutschen Wörtern in englischer Übersetzung. Und sonst? Rumlaufen, rumsitzen, rumstehen. Ein Leben wir im Wartezimmer. "Ich weiß nicht, wann es mit mir weitergeht", sagt Awad, auch er ein Flüchtling aus Syrien. Es heißt, dass die Flüchtlinge bald abgeholt werden. Aber wohin? "Wir müssen geduldig sein", meint Awad. Um irgendetwas zu tun, wird Fußball gespielt, manchmal auch "Mensch ärgere Dich nicht", ein Gesellschaftsspiel, das leicht zu erklären sei. Auf bei der Reinigung helfen viele mit. "Die Leute putzen selbst, räumen auf, fegen die Straße", berichtet Ingeborg Schmidt. Es sei den meisten Bewohnern wichtig, sich einzubringen. "Am Anfang haben wie einen Ausflug nach Bergisch Gladbach gemacht. Das war toll", erklärt Awad. Solche Unternehmungen bleiben aber die Ausnahme. "Kein Geld", sagt der 29-jährige Kommunikationsingenieur. 30 Euro Taschengeld in der Woche zahlt die Stadt. Und das geht zum großen Teil zum Aufladen der Handy-Prepaid-Karten drauf. Nachts ist es schwieirig mit der Ruhe. Immer hört man irgendein Geräusch. Aber Awad winkt ab: "This is nothing. Wir haben viel schlimmere Situationen als das überlebt."